Weihnachten vor 100 Jahren – im Zeichen der Revolution

Es ist das Jahr 1918. Seit fast zwei Monaten haben die revolutionären Arbeiter*innen große Teile des Landes unter Ihrer Kontrolle. Der Kaiser ist geflohen, der Krieg beendet. Doch wie es weiter gehen soll ist noch unklar. Am 9. November ruft Philip Scheidemann (MSPD¹) die deutsche Republik und Karl Liebknecht (Spartakusbund²) die freie sozialistische Republik aus.
An Heiligabend kommt es zur ersten wegweisenden Auseinandersetzung, die die Arbeiter*innenbewegung bis heute verändern wird.

Die Novemberrevolution und die Sozialdemokratische Partei

Nach vier Jahren Weltkrieg wird die Lage im inneren des deutschen Kaiserreichs immer dramatischer. Hunger und Seuchen überziehen das Land, viele Familien haben einen Großteil der männlichen Verwandtschaft im Krieg verloren. Der Unmut innerhalb der Bevölkerung wächst. Die deutsche Front steht kurz vorm Fall, es ist nur noch eine Frage der Zeit, wann der Krieg auf deutschem Boden ankommt. Im Zuge dessen entschließt sich der Vizechef der Obersten Heeresleitung(OHL), Erich Ludendorff, der Sozialdemokratischen Partei (MSPD) die Regierung anzubieten, damit diese die Verantwortung für den Friedensvertrag auf sich nimmt. Die Sozialdemokraten akzeptieren. Dafür soll Deutschland eine Republik werden. Die Verhandlungen um den Frieden scheitern, da die Gegner des deutschen Reichs die Abdankung des Kaisers fordern. Der Krieg geht weiter. Die MSPD behält vorerst die politische Macht im Reich.

Arbeiter*innen am 09. November in Berlin

Unvorhergesehen entwickelt sich die „Revolution von Unten“ aus Kiel. Nachdem die Matrosen der Marine meutern und zusammen mit den lokalen Arbeiter*innen die Stadt übernehmen, weitet sich die Revolution aufs ganze Reich aus. Die Arbeiter*innen übernehmen die Macht in Ihren Städten, fast überall ohne nennenswerten Widerstand. Am 09. November befreien die Arbeiter*innen und Soldaten Berlin. Der Kaiser flieht ins niederländische Exil. Im Ganzen Land entstehen Rätestrukturen³, die soziale Revolution hat die Oberhand. Das deutsche Kaiserreich ist untergegangen. Am 11. November gelingt der Regierung die Unterzeichnung eines Waffenstillstands. Damit ist der erste Weltkrieg beendet.

Der Ebert-Gröner Pakt

Die politische Macht in Deutschland besteht zu dieser Zeit aus einer Doppelstruktur von Räten und der Nationalversammlung⁴. Die Sozialdemokraten wollen sich damit nicht zufrieden geben und sehen die Räte mit Ihrer hierarchiearmen⁵ Struktur als Hindernis auf dem Weg zu der von Ihnen bevorzugten rein parlamentarischen Staatsordnung. Im geheimen schließt Friedrich Ebert, der Vorsitzende der SPD und Reichspräsident⁶ mit dem Militär Wilhelm Gröner einen Pakt, bei dem Gröner ihm die Unterstützung des Heeres verspricht, wenn Ebert dafür die Macht des Militärs widerherstellt und die Räte zerschlägt. Ebert schließt damit ein Bündnis gegen die Revolution mit den alten Kaisertreuen Eliten.

„Blutweihnacht“ 1918

Volksmarineeinheiten am 24. Dezember 1918

Das Bündnis aus MSPD und Militär wird ab dem 23. Dezember ersichtlich. Die Verwaltung enthält der revolutionstreuen Volksmarinedivision die Lohnzahlungen. Der Berliner Stadtkommandant Otto Wels fordert von den Soldaten das Berliner Schloss, welches diese bis dahin als Unterkunft benutzt haben, zu verlassen. Obwohl die Arbeiter das Schloss räumen, wird weiterhin der Lohn nicht ausgezahlt. Die Soldaten verlieren die Geduld und nehmen Wels als Geisel. Anstatt auf Verhandlungen zu setzen oder den Soldaten den Ihnen zustehenden Lohn auszuzahlen, handeln nun OHL und die Führung der MSPD gemeinsam gegen die Revolutionäre. Am 24. Dezember gibt Friedrich Ebert den Befehl zum Waffeneinsatz gegen die Volksmarinedivision. Daraufhin rücken die kaisertreuen Soldaten unter dem Kommando der OHL vor. Die Stellungen der Volksmarinedivision werden langsam eingenommen. Doch aus der ganzen Stadt strömen bewaffnete Arbeiter*innen und die Roten Brigaden, welche unter der Führung des revolutionstreuen Emil Eichhorns stehen, zum Kampfplatz und entwaffnen die kaisertreuen Soldaten. 11 revolutionäre- und 56 kaisertreue Soldaten werden getötet. Die Revolution behält die Oberhand.

Dies sollte jedoch der letzte gelungene Akt der Solidarität sein. Das Bündnis aus MSPD und OHL schlug die Revolution nieder, ermordete die politischen Denker der Revolution. Die darauf folgende Spaltung der Arbeiter*innenbewegung und die versäumte Absetzung der kaisertreuen Führungspersonen in Verwaltung und Militär bargen das Scheitern der Weimarer Republik in sich und waren für den späteren Erfolg des Nationalsozialismus wegweisend.

 

¹ Die SPD hatte sich in MSPD (Mehrheitsozialdemokraten) und USPD (Unabhängige Sozialdemokraten) gespalten
² politische Organisation, aus der später die KPD hervorgeht
³ Organisationsform, die auf dem Bilden von Betriebsgruppen basiert, die sich mit anderen Gruppen zu größeren Einheiten zusammenschließen und von Unten nach Oben kontrolliert werden
⁴ Parlament, ähnlich dem Bundestag
⁵ wenig grundlegende Über- und Unterordnung von Personengruppen
⁶vorläufer des Bundespräsidenten mit der Macht zum Ausrufen einer Diktatur auf bestimmte Zeit